Win Schumacher journalist, fotograf, weltreisender alles wahre leben ist begegnung
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Patagonien

Der Sturmflug des Albatros

Auf den Spuren der Yamana-Indianer nach Kap Hoorn

Am 8. Oktober 2005 starb Emelinda Acuña in Puerto Williams, der südlichsten Stadt der Welt, einem Nest von 2000 Einwohnern auf der Insel Navarino. Die alte Frau war die einzige, mit der ihre heute 86-jährige Schwägerin Abuela Cristina Calderón sich noch in ihrer Muttersprache unterhalten konnte. Calderón gilt als letzte Yamana-Indianerin Feuerlands. Wenn auch sie stirbt, hat das Volk, das schon vor Jahrtausenden am weitesten in den Süden der Erde vordrang, seine letzte Stimme verloren.

„Die Yamana waren ein außergewöhnliches Volk“, sagt Mauricio Alvarez. „Ihre Sprache kannte ein Dutzend Wörter für das Meer. Sie lebten schon seit mindestens 6000 Jahren hier in Feuerland im Einklang mit der Natur.“ Der chilenische Expeditionsleiter steht auf einem Fels gegenüber der steil aufragenden Eisklippen des Pia-Gletschers im Westen Feuerlands. Die strahlende Masse blendet ihn. „Die Yamana kamen mit ihren Kanus hierher. Sie jagten in den Fjorden Meeressäuger. Sie wussten alles über diesen Ort.“

Aus dem Innern der Gletscherzunge unterhalb einer verschneiten Bergkette dröhnt ein dumpfes Grollen. Sekunden später bricht eine Zinne von der Eiswand und stürzt ins graue Wasser. Stille. Bis Alvarez‘ amerikanische Reisegruppe wieder den Gesprächsfaden zu ihrem aufgeregten Nachmittagstalk findet.

Alvarez begleitet in den Sommermonaten die Expeditionen des chilenischen Kreuzfahrtschiffs Stella Australis. Es bricht regelmäßig von Punta Arenas, seiner Geburtsstadt, nach Kap Hoorn und Ushuaia im argentinischen Teil Feuerlands auf. Das Schiff folgt den Spuren der Yamana. Die Seenomaden siedelten entlang des Beagle-Kanals bis Kap Hoorn, das für Jahrtausende der südlichste je von Menschen betretene Ort der Erde blieb, bis in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts die ersten Abenteurer Fuß auf das Eis der Antarktis setzten. Um die Felseninseln und in den Fjorden Feuerlands lebten die Yamana vom Fischfang oder jagten Robben und seltener Guanakos, die wilden Verwandten der Lamas. Die Frauen tauchten im eisigen Wasser nach Krustentieren. Über die Jahrtausende passten sie sich perfekt an die extremen Lebensbedingungen am Ende der Erde an. […]