Win Schumacher journalist, fotograf, weltreisender alles wahre leben ist begegnung
Suche Menü
zurück zum Land (Brasilien)
Recife

Begegnung mit Jesus

Die verlorenen Kindern der Neuen Welt

Begegnung mit Jesus. Wir sitzen im staubigen Schatten eines Mangobaums und spielen Dame. Gegen drei Uhr ist es hier unerträglich heiß. Die Luft flimmert müde und die Nachmittags-sonne brennt auch durch das dichte Blattwerk eines Baumriesen gnadenlos. Dazu der Lärm der Straße und die vielen neugierigen Zuschauer, die sich um uns drängen, um genau zu beobachten, wer hier die Oberhand behält. Jesus scheint das nicht zu stören. Mit wachen Augen verfolgt er jeden meiner Züge und hat längst wahrgenommen, dass er sich in mir einen teuflisch guten Gegner ausgesucht hat. Ich staune nicht schlecht, dass er den Überblick über meine Strategie behält und auch nach scheinbar verlorener Schlacht nicht die Lust verliert. Aber noch viel mehr überrascht mich das linke Spiel meines Kontrahenten. Jesus schummelt so meisterhaft und unschuldig wie ein gedopter Tour de France-Sieger. Keine Angst, am Ende werde ich dich gewinnen lassen. Und werde all meine aufgetürmten Damen so schnell und gezielt verloren haben, wie ich sie gewonnen hatte. Ich werde den völlig überrumpelten Verlierer spielen. Dann wird Jesus die Arme hochreißen und wieder einmal Sieger sein.

Irgendwie merkwürdig, wenn ich Jesus beim Namen nenne. Da sitze ich also im Staub, nur einen Handschlag von ihm entfernt und kann ihm in die Augen sehen. Schwarze Augen, in denen sich unser Schachbrett spiegelt. Weißer Himmel, schwarze Erde. Jesus hat dunkle, verfilzte Locken und trägt ein verschlissenes T-Shirt in Größe XL, aus dem gerade noch seine dünnen Ärmchen ragen. Seine Haut trägt die Narben und Geschwüre eines kaputten Lebens. Eines, das vielleicht gerade einmal sieben Jahre alt ist, denn ich weiß, dass Jesus lügt, wenn er sagt, er sei zwölf. In seinem Schoß liegt ein Mischlingswelpe, eine winzige Kreatur mit vom Eiter zugeklebten Augen, genauso schmutzig und armselig wie ihr Herr. Das Hündchen ist in der Mittagshitze eingeschlafen und Jesus lässt nicht zu, dass jemand dem winzigen Geschöpf auch nur über den Kopf fährt. Manchmal wirft er sogar mit Steinen nach denen, die nach dem Welpen greifen. Ohne dabei das Spielbrett aus den Augen zu verlieren. Wenn ich ihn mir so anschaue, den kleinen dreckigen Jesus, wie er seinen Hund an sich klammert und Steine wirft, ich ahne etwas von seiner Leidensgeschichte, einer Geschichte, die lange vor seiner Geburt beginnt. […]