Win Schumacher journalist, fotograf, weltreisender alles wahre leben ist begegnung
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Portland

Nackt durch die City

Portland in Oregon will die schrägste Metropole der USA bleiben. Ausgerechnet Einwanderer aus Kalifornien bedrohen das Mekka der Alternativen

Als Walter Cole sich zum ersten Mal falsche Augenwimpern auf die Lider klebt, mohnroten Lippenstift aufträgt und sich in ein schwarzes Rüschenkleid zwängt, ist Lyndon B. Johnson Präsident der USA und in den Kinos läuft gerade Disneys Dschungelbuch an. In Kalifornien folgt auf den Summer of Love ein kühler Herbst. An der Ostküste predigt Martin Luther King gegen den Vietnamkrieg. Und in Portland in Oregon steigt eine Dragqueen auf einen Tisch in einer dunklen Taverne in Chinatown, die sie gerade für 5000 Dollar gekauft hat, und singt vor einer Gruppe betrunkener Lesben. „Damals habe ich mich natürlich so noch nicht vor die Tür getraut“, erzählt Walter Cole und zupft an seiner wasserstoffblonden Perücke. „Dabei war Portland schon immer sehr liberal und für Leute wie mich eigentlich nie gefährlich.“ Unter einer dicken Schicht Schminke lächelt der Kabarettist herzlich. Dass er in diesem Jahr seinen 85. Geburtstag gefeiert hat, lässt sich kaum erahnen. Nur wer genau hinsieht, mag erraten, dass die in die Jahre gekommene Königin der Portlander Nacht im weinroten Glitterfummel ihre Auftritte auf künstlichen Kniegelenken durchsteht, jede Woche am gleichen Ort, ununterbrochen seit 1967. Das Darcelle XV, so auch Coles Künstlername, ist damit wohl das älteste Drag-Kabarett der USA. „Ich bin das beste Beispiel. Diese Stadt ist einfach schräg!“ […]