Tief verborgen im Dschungel Guatemalas liegt die einst größte Stadt Mesoamerikas
Wenn die Abendsonne einen letzten Tropfen Blut in den Himmel El Peténs wischt und goldener Dunst über den Dschungel wabert, kämpft der Große Jaguar mit dem Sonnengott. Dann dringt ein gespenstisch heiseres Gröhlen aus den Wipfeln, dem eine wilde Horde aufgebrachter Geisterstimmen antwortet. „Brüllaffen“, murmelt Juan Carlos, der Maultiertreiber. In der Dämmerung klingt ihr Rufen wie ein Chor von Dämonen.
„Für die Maya symbolisierte der Sternenhimmel das gefleckte Fell des Jaguars. Jeden Abend kämpft er aufs Neue mit der Sonne“, erzählt Juan Carlos Crasborn. Er steht einsam auf der von Bäumen und Schlingpflanzen überwucherten Pyramide von El Tintal. Zu seinen Füßen gieren in der schwülen Tropenhitze Abermillionen Blätter nach der Kühle des Abends. Nichts als Wildnis ringsum. Keine Straße. Keine Wegschneise. Keine Rauchfahne. Noch nicht einmal der Kondensstreifen eines Flugzeugs kratzt ins Abendrot über dem größten Urwaldgebiet Mittelamerikas.
Juan Carlos lässt den ausgestreckten Arm am Horizont entlangwandern. Sein Zeigefinger hält immer wieder an winzigen Kuppen inne, die aus dem Flachland ragen. Xulnal. Wakna. Nakbe. Juan Carlos spricht die Namen aus wie eine längst vergessene Zauberformel. Als die ersten Piloten in den 30er Jahren über den Norden Guatemalas flogen, glaubten sie eine Reihe erloschener Vulkane entdeckt zu haben, die auf keiner Karte verzeichnet waren.
Es sind keine Berge, deren Namen Juan Carlos aneinanderreiht. Es sind die Gipfel mächtiger Mayapyramiden, die vor zweitausend Jahren die stolzen Zentren von geschäftigen Metropolen waren. „Würden wir zur Zeit Jesu hier stehen“, sagt er, „dies hier wäre eine einzige Stadt. Pyramiden. Hochstraßen. Menschenmassen. Die größte Metropole der Maya.“ […]