Win Schumacher journalist, fotograf, weltreisender alles wahre leben ist begegnung
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Lago Maggiore

Endstation Seensucht

Nirgendwo sonst atmet die Schweiz so viel Dolce Vita wie am Lago Maggiore

Manchmal, wenn Ottavio Palmieri im Morgengrauen  seine Netze einholt, gehört ihm der Lago Maggiore ganz allein. Keine Segelschiffe, keine Motorboote, keine Luxusyachten von Locarno bis Arona. 212 Quadratkilometer spiegelglatte Einsamkeit. Nur eine Schar Möwen umringt das kleine Fischerboot mit der reglosen Schweizerflagge überm Außenbordmotor. Sie sind immer da, wenn Palmieri auf dem See ist. „Meine guten Freunde“ nennt er die gefiederten Begleiter und wirft ihnen hin und wieder einen kleinen Fisch vor die Schnäbel. Kreischend stürzen sich die Möwen auf jeden Happen. Palmieri redet mit ihnen wie mit einer Horde ungezogener Kinder. „Wenn du allein bist in der Nacht, hast du doch immer einen Kreis mit Vögeln um dich“, sagt der Fischer.Wäre da nicht das Rufen der Möwen und das Zappeln der Felchen in einer Plastikbox, hier draußen inmitten des Sees könnte ein Ort kristallklarer Stille sein, in diesem Boot eines einsamen Fischers, scheinbar irgendwo am Ende der Welt. Noch lassen die nahen Berge sich allein anhand ferner verschwommener Lichtflecke erahnen. Doch bald schon wird die Silhouette der Gipfel hinter Brissago sich im Morgendunst abzeichnen. Dann kehrt Palmieri in den Hafen zurück und auf dem Lago beginnt das bewegte Leben eines der umtriebigsten Seen der Welt. Und dann, während er noch das letzte von elf Netzen ins Boot zieht und auf eine Eisenstange wickelt, beginnt Palmieri plötzlich zu singen. Er steht aufrecht im Boot, breitet die Arme aus wie ein großer Tenor und wendet den Blick in Richtung Ascona. Il pescatore canta. Mit der bebenden Stimme eines Opernstars singt Palmieri Tostis berühmte Arie vom singenden Fischer. E il pescatore canta: Amore, amore, m’hai preso il cuore e non ti vuoi fermare! Als sei das alte Lied nur für ihn selbst geschrieben. Als sei der Lago Maggiore seine Bühne und die Berge ringsum sein Publikum. […]