Ein Eiland vor der Küste Dakars bewahrt bis heute die Erinnerung an ihre dunkle Vergangenheit.
Wer mit der Fähre in weniger als einer halben Stunde von Dakar aus auf dem nur drei einhalb Kilometer entfernten Eiland Gorée anlegt, findet sich in einer fast idyllischen Atmosphäre wieder. Urplötzlich sind der ewige Lärm, die überfüllten Straßen und der gehetzte Alltag der nahen Millionenmetropole verschwunden. Mit ihnen scheinen auch die mannigfaltigen gegenwärtigen Probleme Westafrikas und die jüngste politische Krise im Senegal vergessen. Am Sandstrand neben der Fähranlegestelle baden jauchzende Kinder. Buntbemalte Fischerboote dümpeln vor ockerroten und pastellfarbenen Häusern unter hochaufragenden Palmen. In den Gassen, die ins Inselinnere führen, wuchern Bougainvilleen, Oleander und Hibiskus in üppigem Pink, Purpur und Scharlach über bröckelnde Mauern. Im Schatten von Palastruinen suchen Widder mit langen gedrehten Hörnern nach Fressbarem. Katzen streichen um die farbenprächtigen Batikkleider der Souvenirverkäuferinnen.
Für die Dakarer ist Gorée ein Ausflugsziel, um der Hektik der Hauptstadt zu entfliehen. Die Touristen, die meist nur für ein paar Stunden eine von Senegals bekanntesten Sehenswürdigkeiten besuchen, kommen meist, um mehr über die Geschichte der Sklaveninsel zu erfahren. Im „Maison des Esclaves“, einem Gebäude aus dem 18. Jahrhundert in einer der historischen Gassen, herrscht dichter Andrang. Touristenschlangen schieben sich durch die engen Räume im Untergeschoss, wo einst Frauen, Männer und Kinder zusammengepfercht wie Vieh auf ihre Ausschiffung ins Unbekannte warteten. Bei einer US-Amerikanerin löst der Ort, an dem die „Tür ohne Wiederkehr“ einen Blick auf das Meer freigibt, der für die Gefangenen den endgültigen Verlust ihrer Heimat bedeutete, ein lautes Schluchzen aus.
„Unter den Besuchern sind viele Afroamerikaner, deren Vorfahren vielleicht von hier in die USA verschleppt wurden“, sagt Mamadou Sall, der teils auf Gorée aufgewachsen ist und heute Touristen über die Insel führt. „Für sie ist es eine Rückkehr zu ihren Wurzeln.“ Die Jackson Five machten die Insel mit ihrem Besuch im Jahr 1974 in Nordamerika bekannt. Nach den Clintons, George W. und Laura Bush, statteten auch die Obamas Gorée einen symbolischen Besuch ab. Nelson Mandela rührte der Ort zu Tränen. Papst Johannes Paul II. Bat hier um Vergebung für das Verbrechen der Sklaverei.
Wie bedeutend die Insel tatsächlich für den transatlantischen Sklavenhandel war, ist heute unter Historikern umstritten. Viele gehen davon aus, dass die Hafenstadt Saint-Louis an der Mündung des Senegal-Flusses eine weitaus wichtigere Rolle spielte. „Die Insel ist und bleibt jedoch ein wichtiger Ort, der bis heute wie kein anderer die Geschichte der Sklaverei bezeugt“, sagt Sall, „er muss auch für künftige Generationen seine Bedeutung bewahren.“ […]