Chile/Argentinien – Patagonien
Am 8. Oktober 2005 starb Emelinda Acuña in Puerto Williams, der südlichsten Stadt der Welt, einem Nest von 2000 Einwohnern auf der Insel Navarino. Die alte Frau war die einzige, mit der ihre heute 89-jährige Schwägerin Abuela Cristina Calderón sich noch in ihrer Muttersprache unterhalten konnte. Calderón gilt als letzte Yamana-Indianerin Feuerlands. Wenn auch sie stirbt, hat das Volk, das schon vor Jahrtausenden am weitesten in den Süden der Erde vordrang, seine letzte Stimme verloren. Die Yamana waren ein außergewöhnliches Volk. Sie lebten schon seit mindestens 6000 Jahren in Feuerland im Einklang mit der Natur. Die Seenomaden siedelten entlang des Beagle-Kanals bis Kap Hoorn, das für Jahrtausende der südlichste je von Menschen betretene Ort der Erde blieb, bis in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts die ersten Abenteurer Fuß auf das Eis der Antarktis setzten. Um die Felseninseln und in den Fjorden Feuerlands lebten die Yamana vom Fischfang oder jagten Robben und seltener Guanakos, die wilden Verwandten der Lamas. Die Frauen tauchten im eisigen Wasser nach Krustentieren. Über die Jahrtausende passten sie sich perfekt an die extremen Lebensbedingungen am Ende der Erde an. Über dem letzten Abgrund vor der Antarktis wacht eine riesige Albatros-Skulptur des chilenischen Bildhauers José Balcells. Er soll an die zahllosen Seefahrer erinnern, die vor Kap Hoorn kenterten und hier ihr Leben ließen. An das Volk, das als erstes ans Ende der Welt vordrang und nun bald nicht mehr ist, erinnert keine Inschrift und kein Gedenkstein. Aber der Albatros ist auch der Totenwächter der Yamana. Der anmutigste und freiste aller Sturmvögel war den Indianern einst heilig.